Clemens von Wedemeyer

Transformation Scenario

* 1974 in Göttingen, GER, lebt und arbeitet in Berlin, GER
studierte an der Fachhochschule Bielefeld, GER, und der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig, GER

Bei der Produktion von Blockbuster-Filmen wächst der Einsatz von Algorithmen zunehmend. Unser Auge hat sich an Szenen gewöhnt, in denen massenhaft automatisierte Charaktere den Bildschirm einnehmen. Animiert durch Algorithmen interagieren sie als künstliche Masse, die lebendig und real zu sein scheint. Das simulierte Leben begann in Computerspielen und Filmen, beeinflusst jedoch mittlerweile viele Bereiche der realen Welt. Neben Stadtplanung und Evakuierungsplänen werden auch Marktvorhersagen von virtuellen Szenarien bestimmt. Inwieweit hat dies Einfluss auf unsere Gesellschaft und somit unser Leben? Spüren wir bereits eine Veränderung?
Mit diesen essenziellen Fragen befasst sich die Videoinstallation Transformation Scenario von Clemens von Wedemeyer. Der Künstler entwickelte in seiner Arbeit einen komplexen Aufbau parallel ablaufender Sequenzen, in denen schnelllebige reale Bilder auf verlangsamte fiktive treffen, die wiederum mit simulierten Szenen einer »Crowd-Control-Software« in Verbindung gebracht werden. Eine »Crowd-Control-Software« dient beispielsweise der Polizei zu Übungs- und Analysezwecken, um Menschmassen bei Demonstrationen besser einschätzen zu können. Durch die collageartige Verknüpfung dieser verschiedenen Sequenzen entwickelt von Wedemeyer eine faszinierende Erzählung über die Auswirkungen von koordinierten Massenbewegungen und der Nutzung simulierter Schwarmbewegungen und Gruppendynamiken auf unsere Gesellschaft. Dabei versuchen uns die sachlichen Erklärungen der Erzählerstimmen zu suggerieren, dass eine simulierte Lebensführung zu unserem Idealbild werden sollte.
Die Arbeit ist Teil eines Langzeitprojektes des Künstlers, das auf das Werk Mass and Power (1960) des Literaturnobelpreisträgers Elias Canetti Bezug nimmt. Canetti versuchte schon damals, die Dynamik von Menschenmassen zu analysieren, und stellte sich dabei die Frage, warum und in welchen Situationen Menschenmassen einzelnen Befehlshabern folgen. Von Wedemeyer greift diese Fragen auf und bezieht dies auf das heutige Potenzial der Masse. In Zeiten des Populismus zeigt das Thema eine besondere Relevanz. Massenhaft gesammelte Daten könnten zum Aufbau von Macht verwendet werden, gleichzeitig bilden Demonstrationen und Massenereignisse Momente des Widerstands.
Transformation Scenario zeigt sich als gedankliches Experiment, das mit unserer Vorstellung des Einflusses digitaler Medien auf menschliche Beziehungen bricht. Von Wedemeyer weckt das Bewusstsein über die Macht einer Masse und konfrontiert die Betrachter*innen mit komplexen und unwiderlegbaren Bildern, die lange nachwirken.

Malina Brinkmann

Artist Statement
I've been interested in images of crowds for a long time, such as in the 1999 video Mass, and inspired in this by Crowds and Power by Elias Canetti. I returned to his book while working on the video installation Transformation Scenario. Canetti describes crowds as entity and their different types, how they grow, transform or discharge. Published in 1960, and related to the totaleterian 20th century, my question was: What is the image of crowds today, what's the new specificity? How can we speculate the future?
For Canetti ‘invisible masses’ are ghosts, demons or angels. In our society it’s big data. Invisibility in a medium is a problem, as we loose understanding, so paranoia grows. But how to render data visible? Cinema has been trying to simulate life since its start. Now film extras are replaced by programmed digital autonomous agents – and similar algorithms are used by sociologists today to simulate social city life for example. I researched the tools and algorithms that were developed in film and game industries but could be used for crowd control in the future. The crowds of Canetti's youth were mostly on the streets, now they are active and channeled in the media.

Clemens von Wedemeyer