Eva van Tongeren

Van ver staat het stil (Still from afar)

* 1990 in Amersfoort, NLD, lives and works in Antwerp, BEL
studied at the LUCA School of Arts, Brussels, BEL

Erinnerungen verblassen mit der Zeit. Einst klare Bilder verzerren sich und werden unscharf, drohen fast zu verschwinden. Sie werden langsam zu einem undeutlichen Geräusch aus der Ferne, dem man angestrengt lauschen muss, um es zu verstehen.
In der experimentellen Dokumentation Van ver staat het stil erzählt die niederländische Künstlerin Eva van Tongeren in einem audiovisuellen Monolog von einem besonderen Briefwechsel – zwischen ihr und Thomas, der wegen sexuellen Kindesmissbrauchs inhaftiert wurde. Die Arbeit entstand durch ein Projekt, bei dem Inhaftierte und Nicht-Inhaftierte die Möglichkeit bekamen, sich gegenseitig Briefe zu schreiben. Van Tongeren und Thomas meldeten sich dort an und wurden durch das gemeinsame Interesse an Filmen schließlich Briefpartner*innen. Aufgrund der Entfernung zueinander verging eine gewisse Zeit zwischen den Briefen, wodurch eine sichere Umgebung entstand, in der Offenheit eine Chance bekam. Beide waren gezwungen, sich dem Rhythmus der Worte des anderen anzupassen. Thomas klärt die Künstlerin von Anfang an über sich und seine Geschichte auf. Seine Ehrlichkeit und sein sehnlicher Wunsch nach Anschluss außerhalb des Gefängnisses waren entscheidend für den weiteren Kontakt. In den Briefen schrieben sie über gegenseitige Vorstellungen, Erwartungen, Träume und über ihr unveränderliches Unverständnis für sein Verbrechen. Thomas beschrieb ihr sensibel beobachtete Details aus seiner Umgebung, wie den Geruch von Leuten, die die Luft von draußen in das Gefängnis mitbringen, oder das Geräusch der Wärterschlüssel. Beide suchten nach einer Verbindung und fanden sie schließlich in der einfachen und zugleich poetischen Bildsprache der Natur. Thomasʼ Briefe führten die Künstlerin zu Aufnahmen einer kargen Landschaft im Westen der USA, hin zu den höchsten Bäumen der Erde und schließlich in die belebten Straßen von Los Angeles. Van Tongeren zeigte ihm hingegen Bilder von Dingen, die sie berühren: eine im Zimmer herumschwirrende Fliege, vom Wind bewegte Baumkronen oder eine sterbende Heuschrecke auf dem Asphalt – die sensible Art, die Welt zu betrachten, haben beide gemeinsam.
Inspiriert durch das vermittelnde Projekt und Thomasʼ Wunsch nach Kontakt zur Außenwelt, geht Van Tongeren auf eine Reise. Geleitet von der Phantasie ihres Briefpartners erhält sie außergewöhnliche Aufnahmen, die sie in sanft wandernden Kamerabewegungen einfängt und ihm als Fragmente von Erinnerungen zusendet, die jedoch niemals die Seinen sein werden.

Malina Brinkmann

Artist Statement
Almost three years ago I signed up for a project where detainees and non-detainees write letters to each other. Thomas and I were partnered up because of our common interest in film. Thomas' first letter was decisive for the rest of our contact. He wanted me to know why he has been detained from the start. He is a convicted pedophile. Before he has experienced people breaking all contact with him when he told them honestly about his crime and his feelings for young girls. Despite these rejections, he continued to write, searching for contact with someone outside the prison.
His interest in my work as a filmmaker and my interest in his world planted the seed for
Still from afar. Due to the distance and time that are inherent to the exchange of letters, a safe environment was created within which openness had a chance. We are forced to adjust our thoughts to the rhythm of each other's letters. In Still from afar I translated the months-long dialogue between Thomas and myself into an audiovisual monologue.

Eva van Tongeren