Marianna Christofides

A canary called Cassandra

* 1980 in Nicosia, CYP, lebt und arbeitet in Berlin, GER
studierte an der Academy of Fine Arts in Athens, GRC, der Slade School of Fine Art in London, GBR, und der Kunsthochschule für Medien Köln, GER

In einer ihrer neusten Arbeiten, der 3-Kanal-Projektion A canary called Cassandra, erzählt Marianna Christofides anhand von über 200 gesammelten Dias die Geschichte des namhaften Imperial Hotels, welches im Tokio der 1920er Jahre von dem Architekten Frank Lloyd Wright erbaut und nur wenige Stunden vor dem großen Kantō-Erdbeben eröffnet wurde. Während das Erdbeben große Teile Tokios zerstörte und über 100.000 Menschenleben forderte, überlebte das Hotel nahezu unbeschädigt. Es dauerte weitere 40 Jahre, bis es 1967 letztendlich aus wirtschaftlichen Gründen abgerissen wurde.
Auch in vorherigen Projekten beschäftigte sich die Künstlerin mit Architekten wie Frank Lloyd Wright, die mit ihren Gestaltungskonzepten eine nahtlose Integration des Bauwerks in die Landschaft anstrebten und dabei Grundsätzen der organischen Architektur folgten. In dieser Arbeit nähert sich Christofides der Thematik durch eine Rhetorik des kollektiven Gedächtnisses. Dia für Dia wird der Werdegang des Imperials eröffnet, futuristische Innen- und Außenansichten des Hotels paaren sich mit Bildern der umliegenden Natur und nahezu pilgerähnlichen Gruppenaufnahmen. Mit dem langsamen Ein- und Ausblenden der Bilder erscheint auch Text. Sätze, die wie Vorboten wirken und dennoch auf die soeben geschehene Naturkatastrophe hinweisen. Ein erster bildhafter Hinweis auf das Kantō-Erdbeben erreicht den Betrachter in der dritten Minute. Ansichten vom herrschaftlichen Imperial erscheinen nun immer öfter Seite an Seite mit Bildern der Zerstörung. Der Gegensatz zwischen Mensch und Natur, Erschaffung und Zerstörung, Kontrolle und Kontrollverlust wird durch die Worte »construction destruction« markiert, die in der achten Minute auf allen drei Projektionsflächen gleichzeitig auftauchen.
Doch das Erlebte bleibt fragmentarisch, und ein Gefühl der Unvollständigkeit dominiert die Position der Betrachtenden, denn man kann nur erahnen, was die Bilder, selbst von Vergänglichkeit gekennzeichnet, erzählen, und sich vor dem unbekannten Resultat fürchten. Dass wir Menschen nicht immer die Kontrolle bewahren können und uns in unserem Übermut oftmals über die Kraft der Natur stellen, ist etwas, was die Menschheit auch fast ein Jahrhundert nach der Eröffnung des Imperial Hotels und des Kantō-Erdbebens beschäftigen sollte. Der Titel der Arbeit erinnert daran: Es war Kassandra, die tragische Heldin der griechischen Mythologie, die den Untergang Trojas voraussagte und deren Warnungen nie Gehör fanden.

Riccarda Hessling

Artist Statement
In my practice I deal with entangled stories that constitute the different layers of multi-authored places. Drawing on an array of discourses such as geography, architecture, anthropology and literature my mediums are film, text and sound. A canary called Cassandra departs from the entwined path of F.L.Wright's Imperial Hotel in Tokyo to pursue lines of geological and socio-historical narratives that explore phenomena of continuity, rupture and uncertainty in the anthropocene. Employing over years collected slides taken by an American officer stationed in Japan after WWII I weave these together with own texts as well as auditory footage of an uncontrollable nature. Editing a film in still images reactivates the archival footage and subverts its historical value by embedding it in a speculative narrative about the way we inhabit our environment. The belief that existing mechanisms to react on extreme changes are still effective is here challenged.

Marianna Christofides