Monira Al Qadiri

The Craft

* 1983 in Dakar, SEN, lebt und arbeitet in Beirut, LBN, und Berlin, GER
studierte an der Tokyo University of the Arts, JPN

»Sind wir wirklich wir selbst?« Mit dieser Frage lässt die kuwaitische Künstlerin ihren Vater, 1982 Diplomat in Dakar, die Realität in Frage stellen. Die Betrachtenden sitzen neben ihm, fahren im Mercedes durch die senegalesischen Straßen und werden ebenso nachdenklich wie er, während sie der melancholischen Erzählung der Künstlerin lauschen. Die an alte Science-Fiction-Filme erinnernde Musik und die Magnetbandstörungen alter VHS-Kassetten erzeugen eine skurrile Atmosphäre vergangener Tage. Ausgangspunkt für The Craft ist ein im Film schauspielerisch umgesetzter Traum der fünfjährigen Künstlerin und ihrer Schwester. In diesem erscheint das kuwaitische Botschaftsgebäude als Raumschiff mit einer Besatzung aus Aliens, deren Ziel es ist, die Menschen unter dem Deckmantel der internationalen Diplomatie gleichzuschalten. Das Raumschiff gleicht innen einem amerikanischen Diner und ist Treffpunkt für Aliens und Diplomaten. Diese Symbolik der Amerikanisierung findet sich zudem in Kinderzeichnungen von Burgern, die im Video Kindheitsfotos der Künstlerin überblenden. Darin spiegelt sich die amerikanisierte Entwicklung Kuwaits wider, mit der Al Qadiri aufwuchs. Den Golfkrieg von 1990 empfindet sie als unmenschlich und schreibt ihn den Aliens zu. Ihre kindliche, fantasievolle Verarbeitung des Krieges zeigt sich in Zeichnungen von Zerstörung und Soldaten, die sie mit ihren Kinderaugen als Aliens wahrnimmt. Das Werk zeigt inhaltliche Bezüge zum sogenannten Golf-Futurismus, der die sprunghafte ›Modernisierung‹ der Region sowie die Frage, warum aufgrund der spezifischen kulturellen und politischen Entwicklung bestimmte Zukunftsentwürfe formuliert wurden, aufgreift und ästhetisch übersetzt. Indem Al Qadiri in The Craft die eigene Vergangenheit mit Fakten und Fiktion verbindet, schafft sie im Rahmen des Golf-Futurismus eine Hyperrealität, in der die Grenzen zwischen Realität und Virtualität verwischen. Im Film trifft die mittlerweile erwachsene Al Qadiri die Aliens in Beirut an und erfährt, dass sie ihren Plan aufgegeben haben. Doch endet das Video mit einer langen Kamerafahrt entlang einer grell erleuchteten Einkaufsstraße, wie man sie heute auf der ganzen Welt findet. Ist die Gleichschaltung der Menschen gelungen oder gescheitert? Wie sehen unsere Realität und Zukunft inmitten von undurchsichtiger globaler Vernetzung und Big Data aus?

Anna Fröse