Deimantas Narkevičius

Dėmės ir įbrėžimai (Stains and scratches)

* 1964 in Utena, LTU, lebt und arbeitet in Vilnius, LTU
studierte an der Art Academy in Vilnius, LTU

In Dėmės ir įbrėžimai untersucht Deimantas Narkevičius das Konzept der Erinnerung. Dafür verwendet er 8mm-Filmaufnahmen, die eine kaum öffentlich bekannte Aufführung des Musicals Jesus Christ Superstar zeigen, welches am Vilnius Art Institute im ehemals sowjetischen Litauen im Jahr 1971 dargeboten wurde. Doch anstelle eines mitreißenden Songs der erfolgreichen Rockoper sind in der Videoinstallation nur die mechanischen Geräusche der Tonerzeugung durch die Instrumente, das Scharren der Füße, ein Rauschen sowie zerhackte elektronische Klänge und ein nervöses Flirren zu hören. Dabei wandert das Bild suchend über den Bildschirm – ähnlich dem Lichtkegel einer Taschenlampe, der immer nur Teile eines Bildes freilegt. Die fragmentarischen Ausschnitte, die sich in der 3D-Ansicht überlagern, rekonstruieren damit eine längst vergangene Erinnerung, welche in der Ausstellung als Videoinstallation räumlich erfahrbar wird. Der Kontrast, entstanden aus der Aufsplitterung des Einkanalvideos in sich überlagernde, stereoskopische Bildelemente, beschreibt das oszillierende Verhältnis zwischen der Vergangenheit und ihrer Erinnerung.
Nur die an einigen wenigen Stellen aufflackernden Untertitel und tanzenden Körper lassen vermuten, dass von den Instrumenten die Riffs des Hosanna durch den Raum geschallt sein mussten. »The slow, the suffering, the quick, the dead«. Doch im Video selbst herrscht Stille. Ein schummernder, rauschender Soundeffekt wird vernehmbar und verschwindet wieder, zurück bleibt ein beklemmendes Gefühl, entstanden aus der stillen Obskurität, welche wie unvollständige Rückstände im kollektiven Gedächtnis Litauens zurückbleiben. Der Film weckt, vom Zahn der Zeit zerkratzt und flackernd, Assoziationen an eine moderne Utopie, in der die Studierenden als Mitglieder der alternativen Szene von Vilnius ihre vermeintliche Freiheit performen und zelebrieren: Die Stimmung ist heiter, Menschen tanzen ausgelassen, jemand haut am Klavier in die Tasten – der Tastenanschlag schallt durch die Halle, doch noch immer keine Musik. Auf dem Höhepunkt des Videos setzt schließlich doch noch Musik ein. Es ist ein elektronisch klingender Sound, der stockt wie ein Track, der schnell hintereinander gespielt und wieder unterbrochen wird. Eine Melodie ist kaum erkennbar. Genauso abrupt, wie sich die Tonebene entwickelt, endet auch das Video und lässt die Zuschauer*innen, die für wenige Minuten Teil einer fremden Erinnerung wurden, fragend zurück.

Miriam Klauke

Artist Statement
Film reel and its material qualities are inseparable from an image it carries. Digitally scanned file is twofold in its nature: it exists both as a visual image and as the surface of a chemically developed analogue film. Polarity between physical marks on celluloid and photographic image that it supports was an inspiration to create a stereoscopic sculptural illusion, titled Stains and Scratches. A freshly pressed double LP of rock opera «Jesus Christ Super Star» got through to the underground scene of Vilnius. Score of the opera was re-written by ear upon hearing the record. The musical was staged at the Vilnius Art Institute on 25th of December 1971. One more performance was played a few months later at the Engineering Institute. Both events were filmed on Super 8mm film. Digitalisation of this silent b&w footage, turning it into 3D projection is an attempt to imagine a time of conflicting gestures. Essential political aspirations mix up with raving youthful joy of self-expression in the period of informational regulation and stillness.

Deimantas Narkevičius